Es kratzt an der Substanz, an den Wurzeln, es zieht uns die Schuhe aus und verbrennt uns die Fußsohlen: Was derzeit mit KI abgeht, mit der Künstlichen Intelligenz, ist nicht mehr feierlich! Oder doch? Wie so viele andere Themen in den vergangenen fünf Jahren spaltet auch dies. Enorm. Ich habe mich anfangs absolut dagegen gesehen und wollte mich weigern, jemals überhaupt etwas mit KI zu machen. Dann plauderte ich aus Neugier mit Grok und war erstaunt und etwas später sehr froh, als mir ChatGTP bei Programmier-Problemen meiner Website hier helfen konnte. Meine Mitmenschen sind 50/50 aufgeteilt in KI-Befürworter und -Verweigerer bis Ängstliche. Aber sie alle fragen sich: Wohin führt KI?
Spoiler: Ich habe weder Schimmer noch eine Wahrsagerkugel. Aber ich kann einen wesentlichen Aspekt einbringen: Denn ich sehe ausgerechnet in der KI die Chance, dass wir Menschen unsere eigene Menschlichkeit wieder mehr hinterfragen.
Und das müssen wir. Dringend!
Menschlichkeit neu oder überhaupt mal entdecken
Wir Menschen sind lauter kleine Fischlein im Wasser, die nicht erkennen, dass sie im Wasser schwimmen. Denn wir sind menschlich – und haben es total vergessen.
Als ich vor vier Jahren das erste Mal überlegte, nur noch über Menschlichkeit zu schreiben in meinem Blog Auxkvisit und was Menschsein überhaupt bedeutet, begegneten mir als Antwort ständig drei Zentimeter nach oben springende Augenbrauen. Sie blieben dort stehen und fragten mich im Chor: „Was gäbe es da schon zu sagen?“ Und: „Warum ist das überhaupt notwendig?“
Warum sollte man sich diesen Fragen widmen?
Weil wir total vergessen haben, Mensch zu sein! Wir haben uns von unser wahren Natur total entfernt. Deswegen stockt das Getriebe, daher fühlen sich viele so hohl. Aber dazu ein andermal mehr – fangen wir hier ganz vorne an mit der wesentlichen Frage:
Was ist der Mensch?
Sind wir echt nur haarlose Affen? Oder Sternenstaub, der zufällig in eine zweibeinige Konstellation gepresst worden ist?
Haben wir den Gipfel der Evolution wegen unserer Intelligenz erklommen? Wenn dem so ist, was macht es dann mit uns, wenn wir jetzt merken, dass uns die KI da – vorsichtig formuliert – gewaltig auf die Pelle rückt?
Spätestens seit der Aufklärung haben wir uns durch unseren Intellekt von der Natur abzuheben, ja regelrecht gewaltsam abzutrennen versucht. Gefühl und Glauben wurden als ablenkender Bullshit deklariert. Ab sofort wurde gedacht, geforscht, studiert – denn darum geht es doch!
Cogito ergo sum!
Ich denke, also bin ich – René Descartes
Der Schritt war für unsere Evolution zweifelsohne wichtig, zumal wir nach der Erkenntnis, wie wertvoll die Ratio ist, viel Wertvolles erfunden und entwickelt haben. Aber wie es immer so ist, wenn man von einem Extrem ins andere kippt: Es wird zu extrem. Und damit unlebbar.
Vielleicht ist es daher ganz gut, wenn wir jetzt erleben, dass wir als Menschen nicht deswegen die tollsten sind, weil wir ja ach soooo schlauuuu sind?
Was, wenn wir nicht (mehr) die intelligentesten sind?
Wenn die KI vermutlich jetzt schon cleverer ist, als wir es jemals sein könnten, war’s das mit dem Etikett für uns Menschen, dass wir die schlauesten Wesen ist, die auf dem Planeten herumkreuchen. Das könnte auch die Hoffnungslosigkeit erklären, die sich in den Augen so vieler Menschen breitgemacht hat.
Und dabei gibt es doch so viel Hoffnung: Wenn wir wieder erkennen, was der MENSCH wirklich ist. Denn darauf können, nein, müssen wir unser Bewusstsein jetzt umso genauer lenken!
Um das zu schaffen, müssen wir nur ein paar Schritte zurück oder zumindest zur Seite. Wir müssen den Menschen in Ruhe ansehen, goethemäßig schauen und auf uns wirken lassen.
Wenn ich den Menschen betrachte, so sehe ich vor allem eines:
Ein liebes Wesen
Der Mensch ist ein liebevolles Wesen! Und, ja, oft ist er auch wirklich ein kleines bisschen bescheuert, dass ich mir an die Stirn greifen muss, was sich der Vollpfosten da schon wieder gedacht und angestellt hat! Aber dann spreche ich mit ihm, erfahre die Hinter- und seine Beweggründe. Ich verstehe – und werde ganz still.
Über die Jahre, die ich nun auf diesem Planeten herumlaufe, meine ich eines erkannt zu haben:
Jeder Mensch ist im Herzen gut.
Jeder!
Keiner steht doch morgens auf und denkt sich: „Oh, heute will ich es aber mal richtig verkacken, und mich wie der schlimmste, böseste Depp auf der ganzen Welt verhalten!“ Nicht mal die bekanntesten Menschen, über die so viel gelästert wird, dass sie die schlimmsten, bösesten Idioten seien. Auch diese Menschen haben eine gute Absicht: gesprägt von ihrem Weltbild, geprägt von ihrer Wahrnehmung, geprägt von ihren Mustern, geprägt von ihrer Kindheit. Ihr subjektiver Eindruck von „gut“ hat mit dem „gut“ des Betrachters nur nix zu tun.
Gut, ein paar verrückte Knalltüten gibt es natürlich doch, die mit Absicht anderen schaden oder nur auf ihren eigenen Vorteil achten. Aber wenn du dir selbst die in ihrer fünfjährigen Version vorstellst: Bist du ihnen dann immer noch böse?
– Über GUT und BÖSE im absoluten können wir gerne an anderer Stelle herumphilosophieren. Heute möchte ich es bei den subjektiven Wahrnehmungen belassen. –
Im Grunde gut
Den Menschen kennzeichnet also vor allem seine liebevolle Art. Brauchst du dafür Beweise? Dann geh auf einen Spielplatz und beobachte, wie ein kleines Kind zurück zu seinen Eltern läuft und sie fest drückt – und umgekehrt. Oder mach es wie Hugh Grant als der Primeminister in „Tatsächlich Liebe“, der am Flughafen Heathrow die Menschen beobachtet, wie sie sich freudenüberströmt umarmen. Fällt dir auf, wie jemandem ein Euro runterfällt, und der Mensch daneben hebt das Geldstück hoch und gibt demjenigen? Oder bist du gar derjenige, der sich eben gebückt hat? Wir Menschen helfen einander, das sieht man schon an Versuchen mit Kindergartenkindern.
Wir Menschen sind von Natur aus keine Arschlöcher, wie so gerne behauptet wird! Für die wissenschaftliche Bestätigung meiner Aussage empfehle ich die Lektüre von „Im Grunde gut“ von Rutger Bregmann und „Anfänge“ von XXX und XXX. Sie beweisen: Wir Menschen sind liebe Leute, die sich umeinander kümmern und am liebsten in einer Kultur des Schenkens leben.
Dass wir heute nicht so leben, liegt nicht an uns, sondern an den Rahmenbedingungen. Anderes Thema, nächstes Mal.
Was macht den Menschen sonst noch aus?
Der Mensch ist unberechenbar und vorhersehbar, er ist wild und zärtlich, er kann ein Tölpel sein und zwei Sekunden später ein Feingeist: Wir Menschen bestechen vor allem durch unsere Widersprüchlichkeit und inhärente und gemeinsame Gegensätzlichkeit.
Das ist oft anstrengend: Wenn wir etwa mit anderen zu tun haben, die eine andere Meinung haben. Und wenn man dann diskutieren will und merkt, boah, man dreht sich einfach nur im Kreis.
Und für einen selbst ist es auch anstrengend. Jedenfalls geht es mir so, wenn ich mir an einem Tag noch denke, dass ich Bäume ausreißen kann und alles wunderbar ist, und einen Tag später bin ich so erschöpft, dass ich kaum aus dem Bett komme. Oder wenn ich eigentlich weiß, dass ich eiiiigentlich ansatzweise klug bin, mir dann aber doch wieder eine Dummheit par excellence leiste.
Dieses Gegensätzliche ist total normal, es gehört zu den Rhythmen der Natur: Auf den Tag folgt die Nacht, auf den Winter die Kirschblüten. Wo Licht ist, ist auch Schatten; und wir Menschen drehen uns wie die Euromünze, die vorher eben auf den Boden geknallt ist und einen wilderen Tanz aufführt als der Kreisel in Inception. Wir vereinen alles in uns. Ständig!
Wenn wir Gegensätze vermeiden wollen, heißt es gleichzeitig, dass wir Lebendigkeit aufgeben.
Damit gäben wir also genau das auf, was uns ausmacht.
KI ist nicht Mensch 2.0
Wer die KI als Weiterentwicklung des Menschen feiert, hat den Menschen nie kapiert. Noch schlimmer: Er negiert ihn komplett, missversteht ihn, spricht im einen wichtigen Anteil ab.
Denn der Mensch ist weit mehr als ein einigermaßen intelligentes Wesen, das man technisch nachahmen und dabei optimieren kann: Der Mensch ist ein fühlendes Wesen, er hat ein Herz – mit einer Herzweisheit noch dazu. Zwei Dinge, die, egal wie fortschrittlich KI noch werden wird, sie nie besitzen kann.
Das mag einigen jetzt zu esoterisch und nicht nachweisbar klingen: Herz und Herzweisheit! Wer sich schon weitestgehend vom Gefühl und komplett vom Geist, Spirit und dem Göttlichen abgewendet hat, der wird damit jetzt nichts anfangen können. (Wer so denkt, hat seine Wahl getroffen, die auch absolut okay ist. Er sollte nur anderen Menschen offen halten, dass sie auch ihre Wahl treffen dürfen.)
Man kann auch vom tiefsten wissenschaftlich-nachweisbaren Standpunkt aus nicht etwas als inexistent abtun, was die meisten Menschen tief in sich wissen: Dass das, was sie ausmacht, nicht nur die graue Masse zwischen den Ohren ist. Die funktioniert zweifelsohne gut und ist ganz wunderbar; aber wenn uns im Leben etwas hochgradig berührt, erregt, lebendig fühlen macht, dann greifen wir uns immer noch ans Herz – und nicht ans Hirn.
Und diese Geste machen wir sogar, wenn wir etwas wissen …
Wohin führt KI?
Zum ganzheitlichen Menschenbild.
Wenn und KI uns was kann, dann: Uns etwas zeigen. Sie zeigt uns, was uns Menschen menschlich macht: unsere Seele, unsere Emotionen.
Denn selbst wenn die verblüffend menschlich wirkende Roboterfrau Sophia auf der Bildfläche tritt und angenehm wohlwollend spricht, kommt wohl niemand auf die Idee, ihr eine Seele zuzusprechen:
Wir haben jetzt also als Menschen die fundamentale Chance, uns wieder stärker als auch fühlende Wesen zu erkennen. Das, was uns im Zeitalter der Aufklärung abhanden gekommen ist, müssen wir uns wieder zurückholen: Das Fühlige, Verrückte, nicht immer Verifizierbare sollten wir zumindest anerkennen und nicht als unnötige Spinnerei abtun. Denn wir haben das jetzt ein paar Jahrhunderte von uns abgeknipst, und nur zum Guten hat es sicherlich nicht geführt.
Es gilt, die beiden Enden der Extreme wieder zusammenzuführen: Glaube und Wissenschaft. Alltag und Mystik. Fakten und Phantasie.
Denn es ist das Ganzheitliche, was den Menschen und das Leben ausmacht. Und nicht die bloße Intelligenz: Die – für sich allein genommen – knipst uns mit all ihrem neonweißen, grellen Licht nur das eigene, warmgoldene Leuchten aus.
Titelbild: Collage unter Verwendung von © Dante Candal, © Olivier Pons, © Conny Schneider, Shahadat Rahman (alle: Unsplash)